Sprit und Spiritismus – Meyrinks Autos
Bei aller Neigung zum Spiritismus, zum Okkulten und abgehobenen Yogi-Dasein: Meyrink hatte etwas für Autos übrig (und für den Sport). Es war also nicht nur wegen der drohenden Pleite seines Bankhauses, dass er in Prag eine – und dem Vernehmen nach die erste solche in Österreich-Ungarn – Vetretung der Rheinischen Motoren-Fabrik Benz & Co übernahm; dies allerdings noch unter seinem bürgerlichen Namen Gustav Meyer.


Allerdings floppte auch diese Geschäftsidee, und es scheint, als habe er dann lange Zeit kein Automobil mehr besessen. Erst gegen Ende des 1. Weltkriegs oder kurz danach hat er sich wohl wieder eines angeschafft. Davon fand ich eine Abbildung in Hartmut Binders Meyrink-Biografie. Um welchen Autotyp es sich handelt, konnte ich nicht erkennen. Da ich jedoch eine Szene »Meyrink am Steuer seines Automobils« im Roman einbauen wollte, ließ mir das keine Ruhe. Im »Oldtimer Markt«, der hierzulande auflagestärksten Zeitschrift für Freunde klassischer Autos, gibt es eine Rubrik »Leser helfen Lesern«:

Ein halbes Dutzend Experten meldeten sich. Auf die Marke, Opel, legten sich alle fest, bei der exakten Modellbezeichnung und dem Baujahr gab es eine gewisse Bandbreite: 8/25 oder 14/24, zwischen 1916 und 1928… Die meisten jedoch identifizierten einen 8/25, auch genannt »Spitzkühler« oder »Torpedo«. »Spitzkühler« wegen der vertikalen scharfen Kante am Kühlervorbau.
Damit war das geklärt: Im Kapitel Spätsommertag des »Unsichtbaren Romans« macht sich der Schriftsteller Meyrink auf eine kleine Runde mit seinem Spitzkühler; von Starnberg über den Kesselberg, am Walchensee vorbei und via Garmisch zuück nach Starnberg soll es gehen. Kurz bevor er die Bergstraße erreicht, prüft er nochmal Kühlwasser und Reifendruck. Dann…
In mäßigem Tempo rollt er weiter. Erst anschleichen,
denkt er, dann zupacken. Ein paar hundert Meter verläuft
die Straße direkt am lieblichen Kochelseeufer, dann geht es
links in den Wald und – Gashebel voll nach vorne – auf die
annähernd gerade Rampe, die in die erste von vier Haarnadelkurven
mündet. Meyrink stellt sich mit seinem ganzen
Gewicht – und das ist nicht viel, keine 65 Kilogramm – auf
die Bremse, es hebt ihn aus dem Sitz, halb im Stehen muss
er das Lenkrad drehen – und dazu braucht es Kraft – , zwei
Gänge herunterschalten, den Gashebel wieder nach vorne
schlagen, Gasgemisch regulieren, Zündzeitpunktverstellung
justieren. »Kali, schwarze Göttin«, brüllt er ins Röhren der
Maschine, »leih mir wenigstens einen deiner sechs Arme!«
Die rissigen Gummireifen hat er längst vergessen, als er
den Opel, Typ 8 / 25 – wegen seines kantigen Zerstörerbugs
»Spitzkühler« genannt – , in die zweite Haarnadelkurve
wirft. Zwischen Kurve zwei und Kurve drei reißt er sich die
Lederkappe vom Kopf: wird einfach zu heiß. Schon schleichen
sich Dampffetzen seitlich vom Kühler weg, aber nach
Haarnadel Nummer vier schmiegt sich die Straße für einige
hundert Meter bei mäßigem Anstieg an die Bergflanke:
Mensch und Maschine atmen kurz durch. Es folgen zwei
rechtwinklige Knicke, die ins nächste Zickzack einleiten.
Dort will der schwere Wagen partout geradeaus; Meyrink,
als Schriftsteller gewohnt, den leichtfüßigen, geflügelten
Pegasus zu satteln (obwohl auch der manchmal stur wie ein
Esel ist), hat hier einen Ochsen mit der Kraft von 25 Pferden
niederzuringen. In der ersten Kurve gelingt dies mit knapper
Not. Kurz nach der zweiten Kurve bricht der Gashebel im
energischen Zugriff ab, der Motor läuft ab jetzt auf voller
Kraft – und nur dank der Steigung, die den Ansturm der
Maschine bremst, gelingt es Meyrink, den Wagen in der
dritten Kurve zu bändigen. Von jetzt an – mit Gott. Mit
wem auch immer.
Der Motor wummert, die Bremsen rauchen. (…)