Gustav Meyrink
Lieber ein Sprengmittel
sein als ein Klebstoff*
Im Mittelpunkt des »Unsichtbaren Romans« steht ein Schriftsteller: Gustav Meyrink. Er war einmal – vor ziemlich genau 100 Jahren – sehr berühmt, als Satiriker und Romancier. Wenn, dann kennt man von ihm heute vielleicht noch »Der Golem« (1915), eine atmosphärisch dichte, auf mehreren Ebenen erzählte Geschichte aus dem Judenghetto von Prag.

Der Satiriker Meyrink schrieb seine erste Novelle kurz nach der Jahrhundertwende für den in München von Albert Langen herausgegebenen Simplicissimus. »Der heiße Soldat« , so der Titel des Stücks, machte Meyrink auf einen Schlag bekannt. Er wurde sofort zu einem »writer’s writer«, wie man in englischsprachigen Ländern sagt, zu einem, den auch und besonders Schriftsteller schätzen. Man bewunderte vor allem seine Einfälle, das Bizarre und Fabelhafte dieser Geschichten. Erich Mühsam, der Münchner Dichter, Bohemien und Revolutionär erinnert sich:
Meyrinks Geschichten im »Simplicissimus«, geheimnisvoll, grotesk, gespenstisch, boshaft, witzig und funkelnd, regten zu jener Zeit die Phantasie der geistig bewegten Jugend mächtg an. Man stürzte sich auf jede neue Nummer des Münchner Blattes, und stand eine neuer Meyrink drin, so war für etliche Abende Diskussionstoff vorhanden.
Erich Mühsam, Namen und Menschen. Unpolitische Erinnerungen (Leipzig, 1949), S. 100
Andere teilen diese Ansicht. Max Brod hielt Meyrinks frühe Texte für das »Nonplusultra aller modernen Dichtung«, Karl Wolfskehl schrieb:
Worte, Wendungen, Vergleiche aus Meyrinks Simplicissimusbeiträgen [waren] geradezu in aller Munde und Gedächtnis. Jeder »neue Meyrink« war ein erwartetes Ereignis.
zitiert nach Helga Abret, »Lieber ein Sprengmittel sein als ein Klebstoff« Gustav Meyrinks Des deutschen Spießers Wunderhorn (1913), in: Der literarische Zaunkönig 3/2011
Meyrink pflegte seine geheimnisvolle Aura und dürfte sich an den vielen Geschichten, die man über ihn erzählte, erfreut haben. Bevor er die Schriftstellerei zum Beruf machte, war er Bankier in Prag gewesen. Sein Geschäft ging pleite, er versuchte sich als Verkäufer von Autos und Gasglühstrümpfen. Unter dem Verdacht des Anlagebetrugs verbrachte er ein paar Monate im Gefängnis, wurde jedoch vollständig rehabilitiert. Schon früh interessierte er sich für die Theorie und Praxis der »Okkulten Wissenschaften« – Astrologie, Alchemie, Rosenkreuzerei, Freimaurerei, Telepathie und Telekinese, Hellseherei, Magnetismus usw. usf. Beim Studium indischer Weisheit entdeckte er allerdings auch die Kunst des Yoga. Und während er all die obskuren Heils- und Wunderlehren früher oder später mehr oder minder verwarf, praktizierte er sehr ernsthaft Yoga bis zu seinem Tod.
Keine Lust zu arbeiten…
Gustav Meyrink wurde 1868 in Wien geboren, als uneheliches Kind einer bayerischen Hofschauspielerin und eines württembergischen Freiherrn. Er wuchs in München und in Hamburg auf, später in Prag – wohin immer die Engagements der Mutter (mit der er sich übrigens nicht verstand) führten. Bei Volljährigkeit wurde ihm eine größere Geldsumme ausgezahlt, die sein Vater für ihn angelegt hatte. Doch verspürte er wenig Lust zu arbeiten und gründete mit einem Kompagnon das Bankhaus »Meyer & Morgenstern«, um sein Vermögen für sich arbeiten zu lassen. Lieber stylte er sich als Dandy, frönte teuren Hobbies (Reiten, Kartenspiel) und widmete sich dem Rudersport. Zwischendrin legte er sich mit dem Prager Offizierskorps an, durfte sich aber nicht duellieren, weil ihn die Herren Offiziere seiner unehelichen Abkunft wegen als nicht satisfaktionsfähig einstuften. Die – vorwiegend auf Börsenspekulation ausgerichteten – Bankgeschäfte liefen auch nicht gut. Meyrink wurde von einer Klientin wegen seines Geschäftsgebarens verklagt; es hieß, er bezeichne sich in Verkaufsgesprächen als illegitimer Sohn des bayerischen Königs Ludwig II.
Dass er daraufhin in Untersuchungshaft genommen wurde, schrieb er dem Wirken des damaligen Prager Polizeichefs zu, einer Verschwörung, in die auch die Offiziere verwickelt gewesen seien. Dem Polizeichef setzte er im Golem ein bleibendes Denkmal.
… aber zu schreiben
Zum Schreiben kam er nach eigenen Berichten über einen Schriftsteller, den er in einem Dresdner Sanatorium traf. Meyrink muss wohl ein guter Erzähler gewesen sein, einer, der seine Zuhörer zu fesseln vermochte. Der etablierte Schriftsteller drängte ihn, diese Geschichten aufzuschreiben. Meyrink zierte sich anfangs, probierte es dann. Der gescheiterte Bankier sah darin wohl auch eine Verdienstmöglichkeit und setzte sich an den Schreibtisch. Seine erste Einsendung an den Simplicissimus, eine Novelle mit dem Titel »Der heiße Soldat«, wurde sofort angenommen. Er avancierte zum ständigen Mitarbeiter.
Das ist die eine Version. Meyrink hat noch eine andere Version, die ich im Unsichtbaren Roman aufgreife. Seine eigene Biographie war ihm auch nicht viel mehr als eine Geschichte, die so oder so erzählt werden kann – und wird.
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