Mail von Manneberg(I)
Ismar Manneberg gab der Hauptfigur in meinem Buch Der Spiegelkasten den Namen. Dass er einen Sohn hatte, ahnte ich höchstens. Bis Kurt Manneberg mir Anfang Oktober 2011 eine Email schrieb…
Dieser Ismar Manneberg, so wie ich ihn von den Kriegsfotos meines Großonkels kannte, und so wie ich ihn mir vorstellte, war ein deutscher assimilierter Jude. Einer, dem seine Religion nicht viel bedeutete, einer, der sich in die deutsche Mehrheitsgesellschaft integrieren wollte, möglichst ohne Naht- und Bruchstelle. Der unbedingt Reserve-Offizier werden wollte, weil das Militär in der nationalistisch aufgeladenen Kaiserzeit ein ungeheures Ansehen besaß. Und obwohl es zu den gesellschaftlich rückständigsten und offen antisemitischen Milieus zählte. Er studierte, promovierte, meldete sich als Einjährig-Freiwilliger, erhielt das Offizierspatent, ließ sich als Rechtsanwalt nieder. Dies alles stückelte ich aus kleinen Meldungen im Blatt seiner Studentenverbindung zusammen. Dort fand ich auch diese Notiz (Ausgabe November 1913):
Vier Monate vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges heirateten sie. Manneberg rückte ein. Das Studentenblatt vermeldet danach immer wieder Orden, Beförderungen, Verwundungen. Im Herbst 1918 sieht man Manneberg in München, bei dem Versuch, das örtliche Verbindungsleben wiederherzustellen. Dann muss er sich wohl wieder nach Schlesien gewandt haben, seiner Heimat. Die Lokalgeschichte von Oppeln (heute Opole/Polen) führt ihn als angesehenen Advokaten, hochdekorierten Kriegsveteranen. 1924 starb er mit 41 Jahren, angeblich an den Folgen der Kriegsverletzungen.
Als Kurt Manneberg im Juni 1946 in die USA kam, änderte er seinen Namen. In seiner Mail schreibt er: For reasons unknown to me my mother never spoke a word about my father.
Irgendwann während der Recherchen zum Spiegelkasten hatte ich versucht herauszufinden, ob Ismar Manneberg Nachfahren hatte und stieß dabei auf eine sehr deutsche Geschichte. Im Aufbau, der Zeitung der deutschsprachigen Juden in New York, erschien im Dezember 1943 diese Todesanzeige:
Susi Manneberg war einen Monat vor ihrem Tod im Juli 1943 von Breslau nach Theresienstadt deportiert worden. Lizzie Wasbutzki starb später in Auschwitz (heute weiß ich, dass sie Susi Mannebergs Schwester war). Kurt Manneberg, und in welchem Verhältnis er zu Susi Manneberg stand, oder ob er ein Bruder Ismars war – das konnte ich nicht zuordnen, weitere Recherchen führten nirgendwohin (ich wusste ja nicht, dass er seinen Namen geändert hatte). Aber zu Eva Steinitz, mutmaßlich eine Tochter Ismars und Susannes, fand ich eine weitere Spur im Aufbau: die Geburtsanzeige einer Tochter (1942). Am Ende deuteten dieses und einige andere Indizien auf eine Frau, die in der Nähe von Detroit lebt und von der ich mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen konnte, sie sei die (oder eine) Enkelin Ismar Mannebergs.
Kurz nachdem der Spiegelkasten erschienen war, schrieb ich einen Brief an diese Frau, in dem ich versuchte zu erklären, warum ein gewisser Ismar Manneberg in einem Roman die Hauptfigur wurde. Bevor ich den Brief einwarf, trug ich ihn einige Tage in der Tasche herum. Was würde ich damit auslösen?
Etwa drei Wochen später kam die Email.
Christoph, your letter was the best thing that happened to me in 2011.
[weiter zu Mail von Manneberg, Teil II]