Der Mann auf dem Cover

Paul Cadmus, gemalt von Luigi Lucioni, 1928 (Brooklyn Museum, NY)
Der Mann auf dem Umschlag heißt Paul Cadmus. Er war ein amerikanischer Maler, lebte von 1904 und 1999 – und war schwul.
Trotzdem – nicht deswegen ist er auf dem Schutzumschlag des »Sandkorns« gelandet. Dass mit den Abbildungen ist ja eine geheimnisvolle, ambivalente Sache. Welches Bild kann einen Roman symbolhaft darstellen? Und will man das überhaupt? Soll es einen Hinweis auf den Inhalt geben, soll es »bloß« heraus stechen unter den Dutzenden, hunderten anderen Büchern, die im Laden ausgelegt sind?
Meiner Lektorin (die dieses Bild fand) und mir gefiel der verhalten selbstbewusste Blick des jungen Mannes. Dann erst sahen wir die Zusammenhänge. Ich zeigte es ein paar Freunden, und natürlich kam die Frage auf: Ist das Tolmeyn? Ich weiß nicht – im »Sandkorn« gibt es keine exakte Beschreibung für ihn. Cadmus hier ist vielleicht etwas zu jung. Aber das soll sich jeder selbst vorstellen.
Dieser Paul Cadmus verursachte Mitte der 30er Jahre in den USA einen Skandal, mit einem Gemälde, dass es einem heute schwer macht, irgendetwas Skandalöses darauf zu entdecken:

Paul Cadmus: The Fleet’s In (1934)
Dass die U.S. Navy nicht erfreut war über dieses Bild, das Matrosen beim Landgang in ausgelassenster Stimmung zeigt, ist nachvollziehbar. Aber wo ist der homosexuelle Skandal? Der amerikanische Kunsthistoriker Anthony J Morris berichtet in seiner Doktorarbeit[1] über Paul Cadmus:
»Weinberg [auch ein amerik. Kunsthistoriker; Anm. CP] erkennt eine homosexuelle Anbahnung auf der linken Seite von The Fleet’s In, wo ein gut gepflegter blonder Zivilist dem Matrosen eine Lucky Strike anbietet, welche dieser nur zu gerne annimmt. Keiner der beiden sieht auf die Zigarette, stattdessen blicken sie einander intensiv an. Weinberg beschreibt den Zivilisten als Stereotyp eines Homosexuellen, mit gezupften Augenbrauen, Rouge auf den Wangen, beringten Fingern und – dies am wichtigsten – einer roten Krawatte. Weinbergs Forschungen zeigen, dass im späten 19. Jahrhundert rote Krawatten geheime Zeichen waren, mit denen schwule Männer anderen schwulen Männern ihre Bereitschaft signalisierten.«[2]
Im Berlin der Kaiserzeit waren weiße Nelken im Knopfloch solch ein Zeichen, zu Zeiten Lord Byrons (Die Welt ist im Kopf) waren es (in London) bestimmte Hüte und farbenprächtige Westen, die als entsprechende Signale interpretiert werden konnten. Dennoch bleibt die Frage: Konnte das allgemeine Publikum, das nicht in die Codes eingeweiht war, das erkennen? Laut Morris bemühten sich die Medien damals, die »schwule Interpretation« des Bildes zwischen die Zeilen zu packen.
Das Gemälde hängt seit 1994 wieder in der Navy Art Gallery in Washington DC, nachdem es jahrzehntelang in Privatbesitz oder Depots verschwunden war.
- Anthony J Morris, The Censored Paintings Of Paul Cadmus, 1934–1940: THE BODY AS THE BOUNDARY BETWEEN THE DECENT AND OBSCENE; Department of Art History and Art Case Western Reserve University, Cleveland Ohio, USA, May 2010.↵
- im Original: Weinberg located a homosexual coupling on the far left side of The Fleet’s In! where a well groomed, blonde civilian with pursed lips is depicted offering a Lucky Strike cigarette to a Marine who eagerly accepts it. Neither man looks at the cigarette but intently maintain eye contact with each other. Weinberg identifies the civilian as a stereotyped homosexual with pencil thin eyebrows, rouged cheekbones, ringed fingers, and most importantly—a red tie. Weinberg’s research shows that in the late nineteenth century, red ties were codes used by gay men to signal other gay men of their availability.↵