Urheber und Piraten, oder: Was, wenn sie »Räuber« hießen?
»Die Regel bleibt. Künstler die gut sind, werden auch davon leben können! Ausser Schriftsteller.«
(User-Zitat aus einem Onlineforum der ZEIT zum Thema Urheberrecht)
Echt? Zeit, Flagge zu zeigen
Ich habe kürzlich ins Parteiprogramm und auf andere Positionspapiere der Piraten geschaut.
Es ist schon gruselig.
Zumindest das, was unter »Urheberrecht und nicht-kommerzielle Vervielfältigung« steht. Selbst wenn man annimmt, dass die ihr Schifflein derzeit noch mit funzeligen Positionslaternen und auf unsicherem Kurs segeln. Und zumindest für einen »Urheber«. Anderen dürfte es Schlaraffenland verheißen.
Der Uraltheber
»Urheber« ist ein altertümliches deutsches Wort; mindestens 600 Jahre alt und vielleicht deshalb zu sperrig fürs Internetzeitalter. Es hat laut Kluges »Etymologisches Wörterbuch« etwas mit »Anfangen« zu tun. Wie der Autor mit einem leeren Blatt Papier anfängt, der Bildhauer mit einem rohen STück Stein und der Musiker in der Stille.
Ich bin, als Schriftsteller und Journalist, ein Urheber. Nicht dass bisher allzuviel Bedarf bestanden hätte, sich als Urheber zu bezeichnen. Erst seit den teils wüst geführten Debatten um das Urheberrecht spüre ich eine gewisse Veranlassung zur Selbstbeschreibung als und Solidarisierung mit anderen Urhebern. Also mit Autoren, Forschern, Dokumentarfilmern, Musikern, Designern, Künstlern aller Art…
Für das praktische Schaffen eines Künstlers oder Wissenschaftlers hat das Urheberrecht grundlegende Bedeutung, auch wenn man sich das selten klarmacht, denn im kreativen Alltag geht es meistens um – naja, kreatives Schaffen, und dann um Nutzungsrechte und Verwertungen. (Das gibt man als Urheber ganz gerne ab, sonst käme man kaum zum Arbeiten. Die »Verwerter« sind beileibe nicht so böse, wie mancher glaubt.)
Zwischen dem, was der Künstler herstellt (meist nennt man es »Werk«) und dem Künstler besteht – wenig erstaunlich – eine intensive Beziehung. Diese Beziehung wird vom Urheber(persönlichkeits)recht geschützt. Das Urheberrecht ist kein Handelsgut, ist nicht verkäuflich, aber vererbbar. Niemand darf ohne die Zustimmung des Urhebers das Werk entstellen, verändern, beeinträchtigen. Es kodifiziert, was schon jedes Kind spürt, dem ein anderes durch die gerade gebaute Sandburg trampelt und die Maler der Neuzeit ausdrückten, indem sie ihre Bilder zu signieren begannen: XY fecit – »…hat es angefertigt«. Sicher, es heißt, jeder Künstler schenkt sein Werk der ganzen Welt. Die Piraten sind auch nicht die ersten, die das wörtlich nehmen (und dabei einiges missverstehen).
Geistiges Eigentum, igitt!
Die Piraten sagen: Die »derzeitigen gesetzlichen Rahmenbedingungen im Bereich des Urheberrechts beschränken jedoch das Potential der aktuellen Entwicklung, da sie auf einem veralteten Verständnis von so genanntem »geistigem Eigentum« basieren, welches der angestrebten Wissens- oder Informationsgesellschaft entgegensteht.«
Geistiges Eigentum – das muss für Piraten ein unappetitlicher Begriff sein.[1] Hier halten sie ihn mittels einer ganz langen Zange (»so genannt« plus die Gänsefüßchen) auf Abstand. Sie denken bei Eigentum nur an etwas, das knapp ist und das man anfassen kann.
Und nur, was man anfassen kann, könne man auch stehlen. »Information/Kultur ist aber nicht knapp und kann daher nicht gestohlen werden.«[2] Demnach wäre jemand, der ein schönes Apple Airbook mitgehen lässt, ein Dieb, und der, der das Design für ein eigenes Produkt kopiert – ja, was?
Sancta Simplicitas! Ein guter Gedanke, eine brillante Idee gehören nach wie vor zu den allerknappsten und damit wertvollsten Gütern überhaupt.
Was geht, ist gut
Im nächsten Programm-Punkt »Keine Beschränkung der Kopierbarkeit« schaffen die Piraten ein paar technische Hindernisse auf die Seite. Mittels des rhetorischen Kniffs der »petitio principii« werden alle Arten von Kopierschutz an Werken abgelehnt, denn diese »verknappen künstlich deren Verfügbarkeit, um aus einem freien Gut ein wirtschaftliches zu machen.« Dass die »Werke« per se »frei« seien, setzen die Programmpiraten einfach voraus. Aber den Nachweis für diese (heftig bestrittene) Ansicht haben sie nicht einmal im Ansatz erbracht.[3]
Kopierschutz hin oder her, eh wurscht, denn so geht es weiter:
»Da sich die Kopierbarkeit von digital vorliegenden Werken technisch nicht sinnvoll einschränken lässt und die flächendeckende Durchsetzbarkeit von Verboten im privaten Bereich als gescheitert betrachtet werden muss, sollten die Chancen der allgemeinen Verfügbarkeit von Werken erkannt und genutzt werden.«
Als würden die Chancen nicht längst erkannt und (vor allem) genutzt. Wie auch immer: Atemberaubend zu sehen, wie die Macht des Faktischen zur »Chance« glorifiziert wird; da haben sie schon etwas vom Politsprech der Altparteien gelernt. Klar, Kopierschutz schreckt keinen und Verboten dreht man im »privaten Bereich« die Nase. Zur Legalisierung das Ganzen wird der Begriff des »nichtkommerziellen Kopierens« ins Spiel gebracht, aber nicht wirklich erklärt (an anderer Stelle, in einem Piratenwiki fand ich etwas, wurde daraus auch nicht wesentlich schlauer).
»Nichtkommerzielles Kopieren« ist das Zauberwort
»Wir sind der Überzeugung, dass die nichtkommerzielle Vervielfältigung und Nutzung von Werken als natürlich betrachtet werden sollte.« Solange einer das Kopieren der Inhalte nicht zu seinem Geschäft macht, soll jeder zugreifen können. Für private Nutzung also soll es künftig heißen: Alles ist frei. Die Piraten behaupten auch, »nichtkommerzielles Kopieren« schade den Interessen »der meisten« Urheber gar nicht. Es genügt »Kommunikation« – ein feuchtwarmer Händedruck.[4] (Ich bestreite nicht, dass mancher Piratensympathisant die für ihn freie (=kostenlose) Nutzung jedes kopierbaren Werkes als »natürlich betrachtet«; das dürfte jedoch eher bequeme Gewohnheit sein als tiefere Einsicht in ein digitales Naturrecht.)
So ein Modell hat Tradition im Bereich der freien Software. Deren Urheber erlauben und fördern ausdrücklich die kostenlose Verbreitung ihrer Werke als solcher, hier darf gar kein Geld fließen, allenfalls für ein besonderes Packaging oder einen Datenträger, nicht aber für den immateriellen Gegenstand Software (siehe zum Thema Creative Commons).
Das ist allerdings keineswegs »natürlich«, sondern die freie Entscheidung eines Urhebers, der in einem durchaus modernen Verständnis vom geistigen Eigentum damit tun kann, was er will. Wäre es nicht sein Eigentum, wie könnte er darüber verfügen?
Frei = kostenlos
»Nichtkommerzielles Kopieren« entpuppt sich auch dann als Scheinbegriff, wenn man ihn gegen ein »kommerzielles Kopieren« hält. Diese wäre ein Geschäftsmodell ohne Basis, sobald das »nichtkommerzielle Kopieren« überall und allzeit legalisiert ist. Warum irgendwo für irgendetwas bezahlen, wenn es woanders »frei« zu bekommen ist? Hier zeigt sich im übrigen, wie wachsweich »frei« und »frei« im Piratenvokabular sind. Gibt es denn ohne freien (kostenlosen) Zugang zur Digitalkopie keine »freie Verfügbarkeit von Wissen, Information und Kultur« mehr? Ich habe Schwierigkeiten, die Piraten als Vorkämpfer bildungsferner, verarmter Klassen zu sehen, die ohne »nichtkommerzielles Kopieren« niemals zu Beethoven, Picasso und Günther Grass finden würden.
Viele Urheber haben ein Interesse daran, an ihren Werken etwas zu verdienen. Vielleicht wollen sie sogar davon leben können; das ist legitim, aber nicht einklagbar. Für solche Bedürfnisse ist im Programm der Piraten die Rede von einer »Vielzahl von innovativen Geschäftskonzepten, welche die freie Verfügbarkeit bewusst zu ihrem Vorteil nutzen und Urheber unabhängiger von bestehenden Marktstrukturen machen können.« Da liest man dann über die Musiker, die ihre Musik frei verteilen und dann bei Konzerten und durch den Verkauf von T‑Shirts verdienen: meist etablierte Markennamen. Es sollte aber den Urhebern überlassen bleiben, ob sie auf Selbstvermarktung setzen oder mit einem der pauschal dämonisierten »Verwerter« (auch bekannt als Content Mafia) zusammenarbeiten möchten. Wer diese Unternehmen ablehnt, soll halt nichts von ihnen kaufen.
»Rückführung«. Und dann darf jeder mal ran.
Schnell über magere vier Zeilen zum Thema »Förderung der Kultur« (mir scheint mehr und mehr, die Piraten sprechen immer aus der Konsumentenperspektive) und zu der eigentlich bizarrsten Passage: »Ausgleich zwischen Ansprüchen der Urheber und der Öffentlichkeit«.
Weil »im Allgemeinen für die Schaffung eines Werkes in erheblichem Rahmen auf den öffentlichen Schatz an Schöpfungen zurückgegriffen [wird]«, halten die Piraten es für angezeigt, dieses Werk auch möglichst schnell wieder in den »öffentlichen Schatz« – und jetzt kommt dieses Wort – zurückzuführen. Die »Rückführung« (also das Erlöschen der Urheberrechte) soll in Zukunft wesentlich früher geschehen (und zwar nach zehn Jahren [5]; derzeit in Deutschland 70 Jahre, international 50 Jahre nach dem Tod des Urhebers; siehe TRIPS-Abkommen).
Ich weiß nur nicht, was das bringen soll, da das Urheberrecht durch das freie Kopieren allüberall de facto erledigt wäre; da bliebe nur mehr ein zeremonieller Wert übrig. Für den Autor (Komponisten…) ist die Aussicht allerdings ein Alptraum.
So läuft das nicht mit der Kreativität
Creatio ex nihilo ist die Sache der Götter. Menschen schaffen nicht aus dem absoluten Nichts. Sie beziehen sich auf die Welt, die sie vorfinden. Das muss man ihnen nicht so im Vorbeigehen vorwerfen, als aufgewärmte Uralt-Banalität »Es gibt nichts Neues unter der Sonne«.[6]
Künstlerisches Schaffen ist aber kein Altglasrecycling. Es ist auch kein Klötzchenspiel; es geht nicht darum, allein das Vorhandene neu zu kombinieren und dann die Klötzchen wieder unter den »öffentlichen Schatz« zu mischen. (Und wenn man, wie einst Frl. Hegemann eher zum Rekombinieren neigt, sollte man das wenigstens sagen.) Dort landet irgendwann sowieso alles. Und er wäre kein Schatz, wenn er den Menschen nichts wert wäre, oder?
Keine Ahnung, wie lange eine Partei wie die Piraten charmant für (ihre) Wähler bleibt. Vorerst werden sie ihre Forderungen nicht durchsetzen können; die Schriftsteller müssen sich noch nicht im Panikraum verbarrikadieren. Aber deswegen muss man ja nicht die Klappe halten und bloß hoffen, dass es bald vorbei ist. Man schaue sich auf den Forenseiten der Onlinemedien um, wann immer ein Beitrag zum Thema erscheint: da gefriert einem vor lauter Hass und Häme öfter mal das Blut in den Adern. Bereitmachen zum Kielholen…
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- »Echtes Eigentum ist einzigartig, nicht (kostenfrei) kopierbar und eindeutig einem Besitzer zuzuordnen. „Geistiges Eigentum“ ist in seiner Natur nicht beschränkt und wirkt daher wie ein Monopolrecht und im Zeitalter des Internets mehr und mehr wie ein Zensur- und Kontrollrecht.« (http://wiki.piratenpartei.de/Argumentation#Urheberrecht)↵
- »Das Kopieren von bzw. der Zugriff auf Informationen ist nicht mit Diebstahl gleichzusetzen. Stehlen lässt sich nur ein Gut mit natürlicher Knappheit, das dem Bestohlenen dann fehlt.« Hier auch ein Argument nach dem Muster: »Wir hätten es ja eh nicht gekauft.« (http://wiki.piratenpartei.de/Argumentation#Urheberrecht)↵
- »Dem Autor entsteht durch den Zugriff auf sein Werk kein Schaden, da der Autor lediglich fixe Kosten (oder lediglich Zeit) investiert hat, und durch die Kopie keine Kosten entstehen. Die Unterstellung, dass der Konsument die Kopie stattdessen gekauft hätte, ist nicht haltbar, denn der Wert eines Kulturgutes für einen Einzelnen ist subjektiv und nicht messbar.« (http://wiki.piratenpartei.de/Argumentation#Urheberrecht)↵
- »Um als Autor von den Nutznießern des Werkes die Kosten erstattet zu bekommen, ist ein Zwang zur Vergütung für jeden Zugriff auf das Werk nach einem vorgegebenen Preis nicht erforderlich, sondern eine gute Kommunikation.« loc. cit.↵
- »Die Piratenpartei Deutschland spricht sich für eine gesetzliche Regelung aus, nach der es jedem möglich ist, 10 Jahre nach Erstveröffentlichung, Werke lizenzkostenfrei und ohne Genehmigung zu verwenden, zu kopieren, zu ändern, zu fusionieren, zu verlegen, zu verbreiten oder zu verkaufen. Nichtkommerzielle Nutzung soll bereits zum Zeitpunkt der Veröffentlichung erlaubt sein.« (http://wiki.piratenpartei.de/Positionspapiere/Freie_Verwendung_von_urheberrechtlich_gesch%C3%BCtzten_Werken_nach_10_Jahren).
Anmerkung: Dieser Text wurde Ende August 2012 von dieser Stelle auf der Piratenseite entfernt.↵ - »Eine geistige Schöpfung ist zudem nie eine hundertprozentige Eigenleistung, sondern baut immer auf den Leistungen von Vorgängern auf.« loc. cit.↵