Schopenhauer-Irrtümer, Teil I
Schopenhauer war Pessimist. War er?
Nein.
Jedenfalls nicht im heutigen Sinn des Wortes. In unserem Sprachgebrauch ist ein Pessimist einer, der glaubt, dass alles schiefläuft, nichts gut ausgeht, der sich nichts traut, weil er meint, dass ihm nichts glückt. Einer der sagt: Kann ja nichts werden, und sich freut, wenn nichts wird. Der mit seiner schlechten Laune dauernd alle anderen runterzieht. Der Typ, mit dem man nicht auf der einsamen Insel landen möchte. Aber da gibt es eine ganz lange Liste von Menschen, die mich früher als Schopenhauer zu den Haifischen treiben würden…
Ja.
Nämlich ein philosophischer Pessimist, der Gegenspieler des philosophischen Optimisten. So einer glaubt, dass die Welt schon gut eingerichtet ist (Leibniz sprach sogar von der besten aller möglichen Welten), und dass allem Tummeln, Tun und Treiben in der Welt doch ein Sinn innewohnt, und dass alles letztlich auf ein gutes Ende hinläuft. Das war zu Lebzeiten Schopenhauers die vorherrschende Richtung.
Aber Schopenhauer hat immer versucht, die Welt so zu sehen wie sie ist, und nicht so, wie sie (nach wessen Ansicht auch immer) sein sollte, könnte, müsste.
»(…) und wenn man den verstocktesten Optimisten durch die Krankenhospitäler, Lazarethe und chirurgische Marterkammern, durch die Gefängnisse, Folterkammern und Sklavenställe, über Schlachtfelder und Richtstätten führen, dann alle die finstersten Behausungen des Elends, wo es sich vor den Blicken kalter Neugier verkriecht, ihm öffnet und zum Schluß ihn in den Hungerthurm des Ugolino blicken lassen wollte; so würde sicherlich auch er zuletzt einsehen, welcher Art dieser meilleur des mondes possibles [beste aller möglichen Welten] ist.«
Dieses Grausen vor dem Grauen in der Welt zieht sich durch Schopenhauers Werk, niemals schöngeredet und flachargumentiert. Und weil für ihn Besserung weder am Horizont, noch am Himmel, noch im Jenseits, schon gar nicht in der Menschheit zu sehen war, ist Schopenhauer ein philosophischer Pessimist.