Glänzendes Elend
Eine offene Kritik der Verhältnisse unseres Offizierskorps
»Nicht zum Menschen wird (…) wird der Kadett erzogen, sondern, wie schon gesagt, zum Offizier dressiert.
Und das Wort Offizier möchte ich doppelt betonen.
Die ganze Überhebung, die in dieser Kaste sitzt, wird dem jungen Bürschlein eingeimpft, fast täglich leiert man ihm das Ammenmärchen vom ersten Stand vor, die Uniform tut das Übrige und so sieht man denn in den kleinen Schachtelsoldaten (…) den Inbegriff des militärischen Hochmuts.«
Rudolf Krafft (1864 – 1916) hatte es bei seinem Ausscheiden aus der bayerischen Armee bis zum Premierleutnant gebracht. Seine Streitschrift »Glänzendes Elend« sah noch im Erscheinungsjahr 1895 die zehnte Auflage. Im Vorwort schreibt er: »Nicht einzelnen Personen erkläre ich den Krieg, sondern dem ganzen System.«
Das tut er gründlich. Krafft beginnt mit der Karriere des jungen Burschen, dem in der Kadettenanstalt sowohl allgemeine als militärische Bildung vorenthalten wird – stattdessen bekommt er: »Gesellschaftlichen Schnickschnack, militärisches Gigerltum, großsprecherische Phrasen, brüskes Benehmen nach unten und Verachtung der Civilistenbande.«
Als Offiziersaspirant wird der junge Mann in den Raubtierkäfig der Kaserne geworfen, findet sich am Ende der Hierarchien und allen möglichen Schikanen und Verlockungen ausgesetzt. Bis endlich die ersehnte Beförderung in den Offiziersstand ausgesprochen wird:
»Unser neugebackener Lieutenant schwimmt von nun ab einige Tage in eitler Wonne. Die Damen, bei welchen er früher nur wohlwollend geduldet war, nehmen ihn jetzt als vollwertig, er ist ein Faktor, mit dem man rechnen kann. Gar manche alte Schachtel, die ihre Zähne an erfahreneren Offizieren vergeblich versuchte, hat sich noch schnell vor Thoreschluß einen solchen jungen Lieutenant gekapert.«
Für den aktiven Offizier beginnt nun auch das Rattenrennen um die Beförderungen, denn vom Gehalt eines kleinen Offiziers ist es fast nicht möglich, zu überleben – schon gar nicht »standesgemäß«. Krafft rechnet am Beispiel eines Sekondelieutenant vor, wie geradezu zwangsläufig der Weg in die Ver- und Überschuldung führt. Und für was das alles?
»Die Illusionen sind dahin, der Dienst ist langweilig zum Sterben, man kennt ihn vor- und rückwärts, selbst die Freude über den nach zehnjähriger Dienstzeit errungenen Stern kommt nicht recht auf (…)«