Mail von Manneberg (II)
(Fortsetzung von Mail von Manneberg I)Die Frau in der Nähe von Detroit – sie ist tatsächlich eine Enkelin Ismar Mannebergs – hatte den Brief, den ich ihr geschickt hatte, an ihren Onkel Kurt weitergeleitet. Inzwischen habe ich auch Emails von einer weiteren Enkelin Ismars (eine der beiden Töchter Kurts) bekommen. Und von Kurts Frau. Und von einem der Söhne. Alle haben mir die Sorge genommen, ich hätte mit meiner Romanfigur eine Grenze überschritten – im Gegenteil. Offenbar gibt es viele Unklarheiten über Ismar Mannebergs Leben, Lücken in der Familiengeschichte – von denen ich hoffentlich einige mit meiner Recherche auffüllen kann. Und sie freuen sich darauf, mehr zu erfahren, haben mich sogar eingeladen nach Chicago, für ein ausführliches Gespräch mit Kurt. Er soll (minus den Schnauzbart) übrigens seinem Vater geradezu unheimlich ähnlich sehen:
Kurz nach meiner Rückkkehr von der Frankfurter Buchmesse schrieb Kurt (belassen wir es vorerst bei diesem Namen) eine Mail auf Deutsch:
Ich lese nie Buecher. Nur jeden Tag die New York Times und den SPIEGEL. Nicht alle Seiten, aber die meisten. Aber jetzt ist alles anders. Jeden Tag 3 oder 4 Seiten aus dem SPIEGELKASTEN. Ein wunderbares Buch. Vielen Dank.
Kurt war gerade einmal ein Jahr alt, als sein Vater 1924 starb; an den Folgen der Kriegsverletzungen (er war mindestens zweimal verwundet worden), heißt es in einer polnischen Quelle. 1936 schickte seine Mutter Susanne den 13jährigen nach Shoreham-by-Sea in England auf die Highschool – und vor allem in Sicherheit. Sie blieb in Breslau zurück und half dabei, weitere Kindertransporte zu organisieren. Als Witwe eines hochdekorierten jüdischen Frontoffiziers, dachte sie wohl, würde man sie verschonen. (Allerdings ist meine Wissen über die näheren Umstände ihres Zurückbleibens noch sehr unscharf.)
Kurt machte 1939 seinen Abschluss. Dann begann der Krieg. Die Kriegsjahre verbrachte Kurt in London, 1946 emigrierte er in die USA, änderte seinen Namen (bewahrte aber die Initialen K. M.). Seine Schwester lebte dort schon seit 1938. Er wurde Ingenieur in der Luftfahrtbranche, heiratete, gründete eine Familie. All die Zeit, schrieb mir seine Tochter, hielt er an seiner deutschen Identität fest, mehr als an seiner jüdischen – auch zur Befremdung anderer Familienmitglieder. In den 70er Jahren leitete er die europäischen Niederlassungen der Firma, bei der er angestellt war, von London aus und besuchte oft Deutschland. In seiner ersten Mail sagte Kurt: »Ich mag Deutschland, alle Deutschen und die deutsche Sprache.«
Das könnte man, bei dieser persönlichen und dieser Familiengeschichte, natürlich auch anders sehen; und das ist eines der Dinge, über die ich mich gerne mit ihm unterhalten möchte.